Lockdown light – hört sich nicht nur an wie ein Diätprodukt, fühlt sich auch so an! Man soll nicht mehr in vollen Zügen genießen, um gesund zu bleiben! Gerade hatte sich die Idee des 3.Ortes für Borken erfolgreich durchgesetzt und die nächste Förderstufe erreicht, ist schon wieder Pause – 3ECK zu, Kalles zu. So ganz unpolitisch und unvirologisch sind wir etwas deprimiert. Natürlich versuchen wir weiter für euch da zu sein: ob digitales Kneipenquiz oder Leckereien per Taxi direkt zu euch auf‘ s Sofa. Doch auch für uns ist das einfach nicht das Gleiche. Ein Samstagabend mit euch ist wie ein kleines Zirkusevent, in welchem wir die Jongleure, Clowns und Zauberer sind – euer zufriedenes Schmausen und vergnügtes Lachen ist unser Applaus 😊 – aber aus die wilde Maus! Nix da mehr mit Geselligkeit & ausgelassenem Beisammensein – da hätte man schon manchmal Lust den Schlüssel einfach umzudrehen. Aber wohin dann? Wir sollen doch zuhause bleiben.
Da ist es natürlich von Vorteil ein zweites Zuhause zu haben 😊 So könnte Frau Kalle mal wieder Herrn Kalle nach Berlin begleiten – Berlin ist ja bekanntlich immer eine Reise wert. An einem sonnigen Herbsttag gab es früher nichts Schöneres für Frau Kalle & Kalle als durch die Straßen Berlins zu bummeln – die Pestalozzistraße einmal ganz runter, einen Schlenker über den Savignyplatz und entlang der Kantstraße durch die vielen kleinen, multikulturellen Läden zurück. Die Kantstraße liegt unweit von dort, wo Frau Kalle, Frau Kalles Mann und Kalle gewohnt haben als Frau Kalle sich das Kalles ausgedacht hat. Die Kantstraße – Frau Kalles persönlicher 3.Ort – ein gewachsener Ort der Begegnung.
Geht es am Zoologischen Garten erst schick bis hipp los, reihen sich bald zahllose Bars, alternative Kunstgalerien, Nagelstudios, kleine Läden mit asiatischen, afrikanischen, südamerikanischen und arabischen Waren, sowie Imbisse mit Speisen aus aller Herren Länder aneinander. Zu Gunsten der Berliner, 😊denn auch wenn der schroffe Berliner gar nicht immer Lust auf Begegnung und Offenheit hat, kann sich kaum jemand den kulinarischen Köstlichkeiten entziehen, welche sich in ihren exotischen Aromen und Geschmäckern übertreffen!
Von daher passierte es nicht selten, dass Frau Kalle und Herr Kalle sich nach so einem ausgiebigen Bummel auf ein Süppchen trafen: Tom Kha oder Pho war da die Frage. Tom Kha ist eine thailändische Kokosmilchsuppe, Pho eine vietnamesische Nudelbrühe, beide mit vielen Kräutern und Wurzelgewürzen. Die thailändische Küche ist anders als die vietnamesische – mehr Kokosmilch, mehr Curry – aber trotzdem ähnlich. Ungefähr so ähnlich und doch unterschiedlich wie spanisches und italienisches Essen.
Denn Vietnam liegt unweit von Thailand, getrennt durch Laos und Kambodscha. Unsere Küchenkünstlerin, Food Designerin und Sushi Fee ist in Vietnam geboren – Huong. Und das Huong aus Vietnam Sushi zaubern kann, ist ungefähr so verwunderlich, wie dass Frau Kalle leckere Tapas zubereitet. Und außerdem hat Huong Sushi rollen weder in Vietnam noch in Japan gelernt, sondern in Warschau. Polen, als damals sowjetischer Staat, lud nämlich seine politischen Brüder und Schwestern zum kulturellen Austausch ein, wie auch die DDR. Denn nach dem 2.Weltkrieg ging es ja bekanntlich nicht mehr alle gemeinsam gegen die Faschisten, sondern Kommunisten gegen Kapitalisten.
Berlins Teilung war das steingewordene Sinnbild des Eisernen Vorhangs durch Europa – doch auch in Asien nahm die Geschichte ihren Lauf: Vietnam wurde, wie Berlin, geteilt in Kommunisten gegen Kapitalisten. Nicht Ost gegen West, sondern Nord gegen Süd. Zunächst wurde Vietnam im zweiten Weltkrieg von Japan besetzt, welches den Dreimächtepakt mit Deutschland und Italien geschlossen hatte. Daraufhin versuchte Frankreich ohne Erfolg seine verlorene Kolonialherrschaft wiederherzustellen, was zur Folge hatte, dass Vietnam in das westlich unterstützte Südvietnam und das sozialistische Nordvietnam geteilt wurde.
Auch die Amerikaner scheiterten im Vietnam Krieg, so dass die beiden vietnamesischen Staaten 1975 unter kommunistischer Führung wiedervereinigt wurden. Daraufhin lud die DDR seine politischen Brüder und Schwestern aus Solidarität zur beruflichen Weiterbildung und Qualifikation ein – bis zur deutschen Wiedervereinigung hatten nahezu 100.000 Vietnamesen permanent oder zeitweise in der DDR studiert, gelebt und gearbeitet.
So weit so wundervoll – doch leider kann man momentan nicht Limetten Limonade schlürfend bei chilliger Bali Mucke auf sein Essen warten, sondern muss im kalten Berlin seine geliebte Speise auf der Parkbank verzehren – ist ja schließlich Corona!
Doch während Frau Kalle ihre Tom Kha vom Plastiklöffel schlürft, stellt sie fest, dass der Grundstein dieses 3. Ortes nicht die Einladung der Vietnamesen in die DDR gewesen sein kann. Denn die Kantstraße liegt im ehemaligen Westteil der Stadt und war dessen Handelszentrum. In der DDR lebten die Vietnamesen noch hauptsächlich unter sich. Dem DDR-Regime ging es nämlich sehr schnell gar nicht mehr um Solidarität, sondern nur noch um die Arbeitskraft der Gäste – strenge Kontaktregelungen schirmten die vietnamesischen Arbeiter von der restlichen Bevölkerung ab. Erst nach dem Mauerfall zog das geschäftige Treiben der Kantstraße die kaufmännisch geschickten Vietnamesen an und ihnen folgten Händler aus aller Welt. So entfaltete sich dieser Ort der Begegnung und des Austausches erst nach der Wende, nach den Kontaktbeschränkungen.
Kontaktbeschränkungen – auf einmal gibt es wieder dieses Wort – wie furchteinflößend. Doch zum Glück steht dahinter nicht dieselbe Motivation wie damals. Denn was in der DDR mehr ein Kontaktverbot war, ist heute eher eine Kontaktreduzierung. Damals ging es darum, wer wen kennenlernen durfte – und wehe man verliebte sich auch noch! Dann wurde man direkt ausgewiesen. Heute sollen wir nur körperlich Abstand halten – wer mit wem Kontakt hat oder in einem Haushalt lebt, ist unseren Politikern zum Glück total egal – Hauptsache nicht alle auf einmal und zum Rest bitte 1,5m Abstand😊 Wir dürfen uns also weiterhin begegnen.
Begegnung ist nämlich nicht nur körperlich, Begegnung findet vor allem im Herzen statt: sich für den anderen zu interessieren, zuhören, neugierig sein. Solange der 3.Ort für Borken geschlossen ist, können wir ja einfach durch unser schönes Handelszentrum, die Borkener Innenstadt, bummeln – quatschen ein wenig mit 1,5m Abstand und besinnen uns auf das, was schon in der Kantstraße funktioniert hat. Abends bestellen wir dann ein wenig Sushi oder andere Köstlichkeiten per Sofa Taxi, rufen mal wieder Oma an, spielen bei Claudia Wiemers digitalem KneipenKwizz aus dem FARB mit und lesen was Interessantes, zum Beispiel über fremde Kulturen, Weltgeschichte oder einfach diesen Blog. 😊
Frau Kalle genießt derweil ihre Suppe auf der nassen Parkbank voller Vorfreude darauf, dass sie euch bald wieder eine gute Zeit bereiten kann – im 3ECK und im Kalles! 😊 Sie sitzt dort mit ihrem neuen Begleiter Nino. So einen italienischen Straßenhund wollte sie schon lange näher kennenlernen – jetzt hat sie endlich Zeit dafür gefunden. 😊